Leben danach

NACKTHEIT


Wie sieht das Leben nach einer Essstörung aus? Und wieso ist es mir immer wieder ein Bedürfniss darüber zu schreiben und zu reden? In diesem Blog Eintrag will ich auf diese Fragen eingehen. Begleitend teile ich ein paar Fotos die in letzter Zeit so entstanden sind - also etwas anders als “Früher”. Aufjedenfall gibt’s viel nackte Haut und Ehrlichkeit - ziemlich genauso wie “Früher” also.


Sind Sie geheilt?” - fragte mich meine Therapeutin Ende März, als ich einen spontanen Termin bei ihr gebucht hatte. Ich hatte das Gefühl mein Leben würde mir wieder entgleiten, meine Kraft mich verlassen, die alten Gewohnheiten wieder aufleben. Ich hatte Angst wieder in All den ganzen Mist reinzurutschen.

Geheilt klingt so endgültig - ich glaube ich habe gelernt mit meinen Problemen zurecht zu kommen, mit ihnen zu leben und ihnen keine Macht mehr zu geben.” - meine Antwort klang selbstbewusster als ich mich fühlte und in dem Moment wurde mir klar, dass ich keine erneute Therapie brauchte, ich brauchte nur eine Erinnerung an meine eigene Stärke, die durch die Pandemie-Monate irgendwo zwischen Schnee und Dunkelheit hängen geblieben ist.

Meine Therapeutin lächelte mich an und meinte: “Sie wissen genau, was sie brauchen. Alles steckt in Ihnen.” - und natürlich hatte sie recht - wie immer! Diese Frau ist einfach bombastisch in dem was sie macht…

Und wie setze ich das was ich weiß, nun in die reale Welt um?

Wie nach jedem Therapie Termin, musste ich erstmal alles sacken lassen und in mich gehen, um das Gelernte und Erfahrene richtig zu verarbeiten. Doch in mir veränderte sich bereits etwas, ohne das ich bewusst etwas tat. Ich wurde ruhiger, entspannter und ich begann mir weniger Gedanken um Allesmögliche zu machen. Ich begann das Leben mehr zu nehmen wie es nun mal kam.

Pandemie? - Ich kann es nicht ändern.
Schlechtes Wetter? - Ist halt so.
Zuviel/Zuwenig gegessen? - Mein Körper weiß was er braucht.

Der erste Schritt war somit getan. Akzeptieren.
Dieses Akzeptieren musste ich nun auch auf meinen Körper anwenden, denn die Frage steht noch immer im Raum - Wie sieht das Leben nach einer Essstörung aus?

Tatsächlich fällt es mir immer noch schwer, darauf eine klare Antwort zu finden. Durch die Essstörung weiß ich nun, dass ich meinen Körper verändern kann wenn ich will - der Zweck heiligt da die Mittel, zumindest in meinem Kopf. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich ihn dadurch zerstören kann und es auch schon getan habe. Chronische Rückenschmerzen sind nur eins der Leiden die mir diese Krankheit hinterlassen hat.

Ich übte und übe nochimmer das akzeptieren. Jede Woche, jeden Tag, jede Stunde. Statt vor dem Spiegel zu stehen und zu bemängeln was mir nicht gefällt, wird all das gelobt was wunderbar ist und vorallem was es gutes leistet. Statt mich zu geisseln wenn ich mal mehr gegessen habe, streichle ich meinen Bauch und gebe ihm Kräutertee, um besser alles verdauen zu können. Statt mich dafür zu hassen, kein Sport gemacht zu haben, schließe ich für ein paar Minuten die Augen und werde mir meiner Umgebung und dem Hier und Jetzt bewusst. Ich atme bewusster, esse bewusster, trinke bewusster, gehe bewusster, sehe bewusster. Ich bin im Moment. Ich bin nicht im Morgen oder im Gestern, ich bin HIER.

Ich lebe nun so, wie ich das Gefühl habe es tut mir gut. Ich trinke viel mehr Wasser als früher. Ich laufe viel Barfuß. Ich schlafe, wenn und so lange wie mein Körper es braucht. Ich esse wenn ich hungrig bin, nicht mehr aus Langerweile und auch nicht weil ich mich zwingen muss. Mein Körper hat von sich aus entschieden auf Junk-Food zu verzichten, aber wenn doch mal die Lust aufkommt, genieße ich auch das.

Man könnte denken, wenn man so “gesund” lebt, würde der Körper der Person vielleicht anders aussehen. Aber das ist ein Bild, welches uns die Gesellschaft eingebrannt hat. Mein Körper handelt nicht nach der Gesellschaftlichen-Norm. Mein Körper ist mein Körper. Er ist nicht dick, er ist nicht dünn, er ist nicht irgendwas - ER IST. ICH BIN. - Und das ist es, was die Akzeptanz leichter macht.

Und das ist es auch, wie das Leben nach einer Essstörung ist. Zumindest für mich.

Es ist sich jeden Tag daran zu erinnern, wie weit man gekommen ist und wie lebendig man sich heute fühlt. Es ist die tägliche Entscheidung zu leben. Es ist das immer wieder motivieren stärker zu werden und Raum einnehmen zu dürfen. Es ist das nicht-entschuldigen für die Kraft die man in sich trägt. Es ist das immer wieder aufs neue Kämpfen gegen das sexistische und toxische Idealbild, welches einem von der Gesellschafft aufgedrängt wird.

Und warum muss ich eigentlich immer wieder darüber schreiben oder reden?
Weil ich mit jedem Mal stärker werde. Mit jedem Mal erinnere ich mich daran, wieso ich nicht wieder reinrutsche. Mit jedem Mal gebe ich mir selbst und auch hoffentlich anderen eine Perspektive, eine wilde Idee, wie das Leben ohne Diätenwahn und Selbstzweifel sein kann. Ich will ermutigen. Mich und andere.
Angst vor dem eigenen Körper zu haben, ist die größte Hürde, auf dem Weg zur Glückseeligkeit.

Du musst dich nicht gleich lieben, jedoch kannst du lernen dich zu akzeptieren. Liebe ist schwer - aber immer erstrebenswert.

Ich danke dir, dass du dir diesen Beitrag durchgelesen hast. Ich hoffe du konntest daraus etwas für dich mitnehmen!

Angi ♥

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