Norwegen - Lass mal für immer bleiben


Luft so rein, dass sie nach nichts anderem als Meersalz, feuchten Moos und kaltem Granit riecht. Wind so erfrischend, dass alle Sorgen und Ängste davon getragen werden. Natur so wild, dass sie mich in einen instinktiven Modus versetzt, wo nur noch der jetzige Moment zählt und mein Herz nichts weiter begehrt als die scharfkantigen Berge und die peitschenden Wellen.

Oh, Norwegen! Du hast mein Herz, meine Seele, meinen Geist. Ich will dich niemehr los lassen.


05.11.22

Mein erster Blick aus dem Fenster bestätigt, dass ich nicht nur geträumt habe. Hinter dem Haus ragt eine solide Felswand in den Himmel, ummantelt von Moos haben diese Steine wohl schon Jahrtausende vorbeiziehen sehen. Ich lächle und schäle mich aus dem gemütlichen Bett.
Ein frischer Kaffee und ein leckeres Frühstück stärken uns für den Tag. Wir wollten uns etwas Ruhe gönnen, und vorallem mal einen Tag nicht im Auto verbringen, also war der Plan “einfach ein bisschen Nusfjord erkunden” - so wie man uns kennt blieb es natürlich nicht dabei…

Wie soll man auch nur eine kurze Runde machen, wenn das ↑ quasi der “Garten” hinter unserem AirBnb ist?

3 Seebecken laufen hier über kleine Bachläufe und Wasserfälle zusammen, und in den Nusfjord. Umrahmt von wilden Schieferbergen und dicken Moosdecken.
Wir sind gerade mal 15 Minuten gelaufen und schon stehen wir vor diesen prächtigen Schönheiten. Nebel um ihre Gipfel, dicke, feuchte Luft um uns. Klein und wie eine Sekunde in einem unendlich drehenden Universum. Berge erinnern mich immer wieder daran, wie kurz ein menschliches Leben im Gegensatz zu diesen Giganten ist. Sie erinnern mich daran dankbar und bewusst zu sein. In ihrer Gegenwart schleicht sich Bescheidenheit und Erfurcht ein. Und gleichzeitig fühle ich mich wie ein Teil von ihnen. Mein Mark aus ihren Mineralen, mein Blut aus ihren Quellen, meine Seele aus ihrer Weisheit und Güte.

Wir saßen auf einer feuchten Bank und ließen den Ausblick über uns schwämmen. Ließen die Berge ihr Antlitz in unsere Erinnerung schnitzen.

Der Boden war getränkt mit Feuchtigkeit - meine Schuhe auch.

Das ewig leidige Thema meiner nicht wasserfesten Schuhe… Keine Sorge mittlerweile habe ich endlich wasserfeste Barfußschuhe gefunden - der nächste Trip kann also kommen…

Jonas hatte es da besser und konnte die Umgebung besser erkunden und kletterte auf einen “kleinen” Felshügel. Er fand einen Teil eines Kaninchenschädels und dessen Beinknochen und steckte den Fund direkt ein - beides ist nun in einem Rahmen, mit anderen Andenken aus Norwegen.

Er hat immer so ein Glück, auch wenn er mit den Funden nichts anfangen kann. Knochen sind ja doch eher meine Interesse.
Ich bin jedes Mal dankbar, wenn er mir Knochen “mitbringt”.

Merkwürdiges Thema… weiter im Text :D

Jonas packte die Lust einen Berg zu besteigen, also machten wir uns auf den steilen und rutschigen Weg auf einen der kleinen Berge die Nusfjord in ein kleines Tal nisteten.

Das Wetter war zwar nicht schrecklich, aber gemütlich sieht auch anders aus. Es tröpfelte die ganze Zeit vor sich hin und sorgte für einen matschigen Aufstieg. Doch jedesmal wenn wir von unseren Füßen aufsahen, entschädigte der Ausblick für jede Unannehmlichkeit.

Das kleine weiße, quadratische Haus war unser AirBnb.

Nach ca. 2 Stunden gemütlichen Gehens erreichten wir den höchsten Punkt des gewölbten, kleinen Berges. Ein ungestörter Blick auf Nusfjord zur einen Seite, und eine weite Sicht in den Norden, zum nächsten Fjord. Unser erster Berg auf den Lofoten und wir waren glücklich wie zwei Kleinkinder mit fetten Süßigkeitentüten.

Mit der langsam sinkenden Sonne, stiegen auch wir ab und lachten wenn die andere Person mal wegrutschte oder über dann Fakt, dass wir ja nur kurz mal schauen wollten was Nusfjord so zu bieten hat…

Nach ca. einer Stunde erreichten wir wieder unser AirBnb, zündeten den Kamin an und ließen den Abend mit dem Hobbit ausklingen…

Unsere Tage waren kurz und spielten sich fast ausschließlich Vormittags ab, bis gegen 14:30 die Sonne unterging und man neben lesen und chillen nur noch auf Polarlichter hoffen konnte.

Es war unfassbar beruhigend und ultimativ entspannend.


06.11.22

Ein entspannter Sonntag stand an. Ganz Nusfjord lag ruhig und die vielleicht 15 anderen Menschen im 10km Umkreis verbrachten ihre Zeit in ihren kleinen Häusern. Wir verbrachten einen großen Teil des Tages hauptsächlich in der Horizentalen - if you know, you know…
Aber noch hatten wir nicht alles vom Nusfjord gesehen, also spazierten wir in das Herz des kleinen Ortes und genossen die Ruhe und Entschleunigung.

Wir lachten viel - wie bei noch keiner anderen Reise - und erkundeten den kleinen Souvenirladen, den stillen Hafen und die kostenlose Galerie und das Museum. Wir peilten den kaum des Namen würdigen Leuchtturm an, blieben aber wortwörtlich im Schlamm stecken und bevor ich mich wirklich packte, drehten wir um - schon wieder nasse Füße…

Ein bisschen Info zum Nusfjord:
Nusfjord ist ein Teil der Flakstad Gemeinde und beherbergt ca. 50 Häuser. Einige davon stammen noch aus dem 19. Jahrhundert und dienten als Fischerhütten. Damals war die Haupteinnahmequelle der Fischhandel, heutzutage drückt der zunehmende Tourismus diese traditionelle Arbeit beiseite. Derzeit werden weitere Ferienhäuser gebaut, die vermietet werden um “ein authentisches Fischerdorf Erlebnis” zu bieten.

Nusfjord ist somit ein Freilichtmuseum, dass während der Saison auch Tageseintritt verlangt.

Da wir außerhalb der Saison da waren, brauchten wir keinen Eintritt zahlen und zum Glück hangen auch keine toten Fische über unseren Köpfen. Denn eine Delikatesse der Lofoten, ist der Stockfisch, ein luftgetrockneter (meist) Kabeljau, der von hier in alle Teile der Welt exportiert wird. Überall im Fjord stehen Trockengestelle, an denen die toten Tiere dann zum trocknen gehangen werden. Für uns als vegan lebende Leute richtig eklig, für manch andere wahrscheinlich ein Highlight.

Nusfjord lohnt sich vorallem für die, die gerne ein wenig die Historie eines Landes kennenlernen wollen. Außerhalb der Saison ist es herrlich ruhig, nur vereinzelnt kamen mal Touristen in das Dorf. Während der Saison sollen dort aber tausende Einströmen. Für einen so kleinen Ort, wirklich etwas erdrückend.

Nach dem Erkunden, aßen wir ein indisches Mittag und fuhren nochmal schnell einkaufen. Lustigerweise sind die Supermärkte im “Sonntagsmodus” gewesen, also gab es nur eine kleine Auswahl. Die reichte uns aber, da wir eh nur Burger machen wollten. Wieder zurück im AirBnb bereiteten wir uns unser Abendessen zu und aßen während des nächsten LOTR. Die Tage waren wirklich kurz und somit schliefen wir immer schon spätestens gegen 22h ein…


07.11.22

Genug der Ruhe, es wurde Zeit ein Abenteuer zu erleben und die Lofoten von ihrer wilden Seite zu sehen. Wir waren wieder früh wach und planten die Tageswanderung während wir Jonas’ liebevoll vorbereitetes Frühstück aßen. Vor dem Start der Reise, hatten wir uns einen Lofoten Reiseführer besorgt und bereits einige interessante Wanderungen markiert. Wir entschieden uns für eine “mittelschwere Wanderung” auf den Festvågtind - ein 541m hoher, sehr steiler Berg der fast direkt auf Höhe des Meeresspiegel startet. Ich schaute extra noch auf Google nach Rezensionen um sicher zu gehen, dass dies eine Wanderung werden würde, die wir gut meistern. Laut einiger Bewertung schien es ein simples Unterfangen zu werden also packten wir unsere Rucksäcke und fuhren Richtung Henningsvaer.

Wir parkten den Bulli fast gegenüber vom Startpunkt und freuten uns darüber, dass uns das Wetter so gnädig war. Seit Tagen war endlich mal wieder die Sonne zu sehen und ein blauer Himmel schaute hinter dem Gipfel hervor. Noch bevor wir den Anfang des Aufstieg passierten, joggte eine Frau mit ihrem Hund vor uns “hinein”. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass kann ja dann wirklich nicht so schwer sein und wir schaffen das sicher locker… Jaa… schon in den ersten 10 Metern mussten wir über riesige Felsen klettern und uns zwischen Spalten schieben um überhaupt erstmal einen “Weg” zu finden. Wir brauchten bereits 30 Minuten nur für die ersten paar Meter. Die Joggerin war mittlerweile ein kleiner Punkt irgendwo an der steilen Felswand, fröhlich hüpfend wie ein junges Reh. Nach etwa 1 Stunde hatten wir nichtmal die Hälfte der Strecke geschafft…

Spätestens als uns die Joggerin mit ihrem Hund wieder entgegen kam, und gerade mal eine kleine Schweißperle auf ihrer Stirn glitzerte wussten wir, dass für Norweger:innen “mittelschwer” definitiv eine andere Bedeutung hat als für uns Flachlandstadtkinder.

Wir keuchten und motzten, schwitzten und verfluchten den unsicheren “Trampelpfad”, der sich immer steiler in den Himmel schlängelte und kein Ende nehmen wollte. Der Aufstieg über das Geröllfeld war schon anstrengend, aber als wir dann auf allen vieren, fast senkrecht, mit einer Steigung von 60%, uns den Berg hochhieften überdachte ich all meine Entscheidungen. Ich dachte an meine schmerzenden Waden und Beine, die sich anfühlten als könnten sie jeden moment einfach wegbrechen. Ich dachte an die Zeit, in der ich nicht mehr leben wollte. Die Momente in denen ich meine ganze Existenz in Frage stellte. Die Tage in denen ich einfach nur verschwinden wollte. Ich dachte an all die Male in denen ich mich aus einem tiefen Loch graben musste, weil ich doch nicht aufgeben wollte. Der Festvågtind führte mir mein ganzes bisheriges Leben vor Augen und ich fragte mich echt, wieso ich mir das gerade antue.

Wir kletterten gerade an dem steilen Pfad hinauf, als uns von hinten die Joggerin von vorher schon wieder überholte. What the actual FUCK?! Wir mussten uns beide erstmal hinsetzen und kamen nicht darauf klar, dass jemand joggend diesen Berg erklimmt, aber dann auch noch zwei Mal?! Was los?! Wie Jonas es später so schön in Worte fassen würde: “Das nahm einen erstmal weitere 20% Motivation.” Wir saßen also da, den Blick Richtung Meer, und die Verlockung war groß einfach aufzuhören und wieder abzusteigen. Nun waren wir aber soweit gekommen… und ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann. Das ich wieder herausfordernde Wanderungen schaffen kann. Nach Monaten des krankseins wollte ich mich endlich mal wieder lebendig fühlen und nicht wie ein dahin siechendes Wesen, dass kaum 4 Stockwerke ohne Beatmungszelt überstand. Also ging es weiter, je höher wir kamen, desto weniger redeten wir. Jonas war mittlerweile so still, dass wir nur noch unser Keuchen und unsere stampfenden Schritte hörten.

Die Joggerin kam gerade wieder zurück, als wir das letzte viertel erreichten. Die Sonne begann ihren abstieg, und wir waren noch immer nicht an der Spitze angekommen. Hin und wieder kamen Tränen auf, und der Drang einfach sitzen zu bleiben und sich nicht mehr zu bewegen. Doch Jonas motivierte mich, machte mir Mut und half mir diesen verdammten Berg zu besteigen.

Nach 2,5 Stunden erreichten wir die Spitze. Wer nun wen “bezwungen” hatte bleibt offen. Aber jeder Frust war vergessen als ich ganz oben an der Spitze saß und mir der eiskalte Wind um die Ohren fegte. In diesem Moment fühlte ich mich so lebendig, wie schon Jahre nicht mehr. Ich fühlte mich wie die baddest Bitch, die Königin der Welt - unbesiegbar…

Ich war high. High vom Leben.

Jonas kam nicht mit auf die Spitze, denn obwohl er mich so bestärkt hatte, kämpfte er selbst mit Ängsten. Denn nun stand der Abstieg an, und der würde leider nicht leichter werden…

Wie im Film The Day after Tomorrow begannen sich kleine Eiskristalle auf den Felsen zu formen. Aufeinmal wurde es fürchterlich kalt und wir realisierten, dass wir uns beeilen mussten um noch vor der Dunkelheit wieder am Boden zu sein.

Ich packte meine Kamera schnell wieder ein und Jonas setzte gerade wieder seinen Rucksack auf, als seine Trinkflasche aus dem kleinen Seitenfach rutschte und den Berg hinunterfiel. Ich hab selten etwas so dramatisches gesehen und wir starrten einfach nur der Flasche hinterher wie sie immer tiefer in ihr Verderben fiel. Ein mulmiges Gefühl machte sich breit - was wenn wir die Flasche wären?

Im Spinnengang krochen wir den Pfad wieder hinunter. Jedes Wegrutschen auf den lockeren Steinen sorgte für einen erneuten Adrenalinausstoß. Die Waden waren nun dauerhaft am zittern, malträtiert von der andauernden Spannung. Wir machten keine Pausen, wir konnten uns keine erlauben. Im Wettlauf mit der Zeit mussten wir uns den Berg hinab scheuchen und darauf hoffen nicht wie die Trinkflasche zu enden. Diese fanden wir glücklicherweise zwischen zwei Felsen eingeklemmt, zerkratzt und sichtbar demoliert, aber ansonsten noch funktionstüchtig.

Die Sonne ging unter und wir hatten noch immer nicht den Boden erreicht. Der Stresspegel war nun kaum auszuhalten. Ich war schon wieder den Tränen und dem Aufgeben nah. Abstiege sind anders schwer und fordern nach einem anstrengenden Anstieg den absoluten Rest, den man noch geben kann. Ich dachte wirklich, vielleicht sterbe ich hier doch noch, weil ich versehentlich ausrutsche oder einfach umkippe. Köpper in das Felsgeröll.

Und trotzdem, nach insgesamt 2,3 Stunden, erreichten wir die Straße. Mit unseren Taschenlampen in den Händen, fuchtelten wir wild umher und hätten an Ort und Stelle einfach zusammenbrechen können. Die Erleichterung war riesig. Mindestens so groß wie der verdammte Berg der hinter uns lag. Insgesamt 5 Stunden hatten wir uns durchgekämpft, geschwitzt, geweint und verflucht. Aber wir hatten es geschafft - heil und unversehrt.

Wir lernten aus diesem Abenteuer, dass die norwegischen Wanderungen defintiv schwerer einzuschätzen sind. Außerdem wurde uns bewusst, wie unfit wir waren und wie sehr wir er nötig hatten wieder mehr in die Bewegung zu kommen.

Unsere emotionale Achterbahn während dieser Bergbesteigung, steckt uns noch heute in den Knochen und wir uns wohl noch lange eine Lehre sein.

Und dann, irgendwie als Belohnung für die Strapazen, konnten wir Abends Polarlichter direkt aus dem Fenster vom bequemen Sofa aus beobachten.

Danke Norwegen für diesen unvergesslichen Tag.


08.11.22

Am Morgen nach der Bergwanderung puhlten wir uns aus dem Bett wie zwei 80 Jährige, deren Hüften gerade ersetzt wurden. Zumindest stelle ich es mir so vor, dass man kaum laufen kann und alles weh tut. Meine Oberschenkel brannten wie Feuer, ich hätte schwören können, jemand hat sie durch einen Häcksler geschoben. Meine Waden möchte ich garnicht erwähnen, dass ich überhaupt stehen konnte war ein reines Wunder!

Was macht man denn, wenn die Muskeln so verhunzt sind, aber man gerade im schönsten Land der Welt “Urlaub” macht?

Richtig, Auto fahren!

Was besseres hätten wir an diesem Tag nicht machen können. Das Wetter war beständig windig aber trocken und der Bulli fuhr sich mittlerweile so geschmeidig, dass wir es kaum erwarten konnten damit über die ebenmäßigen Straßen zu rollen. Unser Ziel war es, bis an die unterste Spitze der Lofoten zu fahren. Einem winzigen Örtchen namens Å. Oder auch Å i Lofoten. Ausgesprochen klingt es wie der Ausruf einer überraschten Person: Oh!

Mittlerweile hatten wir uns an die verrückten Berggipfel gewöhnt und dort an der Spitze zu stehen war dann “nur noch” schön. Aber genau das, brauchten wir auch zu diesem Zeitpunkt. Unsere Herzen waren voll, unsere Körper energetisch leer und der Ausblick auf’s Meer und die rauen Berge war wie Balsam. Stolpernd über matschige Moosflächen und von der See glatt gemahlene Steine, schlendernd über kleine Pfade und durch den kleinen Ort genossen wir die Unaufgeregtheit des Tages.

Ein guter Moment, um Bildern wieder den Vortritt zu lassen…

Eine lustige Anekdote zu diesem Fischkopf…
Eigentlich wollte ich den mit nach Hause nehmen, aber…
naja, Fischgräten sind nicht so wie Knochen von Wirbeltieren…
Der Fisch stank bis zum Himmel, als wir ihn im Bulli mit zurück zum AirBnb gebracht hatten, also blieb er draußen auf der Treppe liegen, bis wir ihn beim nächsten Müllgang wegbrachten…

Wir machten uns nach einem kurzen Aufenthalt wieder auf den Rückweg, bei dem wir noch ein paar Zwischenstopps bei der Djupfjordbrua, in Reine und beim Akkarvikodden Rasteplass einlegten. Als kleinen Snack für zwischendurch “gönnten” wir uns Knäckebrotstangen und wickelten veganen Käse drum. Und so staubig wie es klingt war es auch… Leute bringt euch gutes Essen mit!

Wer genau hinschaut, kann auf dem oberen Bild ein paar rote Gestalten sehen. Dies waren die wilden Hurtigroutler die alle uniformiert in roten Windbreaker Jacken einen recht gefährlichen Berg bestiegen. Der Reinebringen ist 448m hoch und wird über unzählige Stufen erreicht. Leider haben hier Wanderbegeisterte auch ihr Leben gelassen. Beim Aufstieg ist also Vorsicht geboten.

Da wir noch immer von unseren schmerzenden Beinen verhindert waren, kam ein Aufstieg garnicht erst in den Sinn, aber jetzt, so vom gemütlichen Bürostuhl aus… könnte man mal machen!

Um 14:50 ging die Sonne unter und wir waren schon wieder auf halber Strecke zurück beim AirBnb. Für den Abend wollten wir auf Aurora Jagd gehen, also stärkten wir uns mit einem guten Essen und zogen Schicht für Schicht Kleidung über, damit wir auf dem Uttakleiv Strand nicht frieren würden. Der Uttakleiv Strand liegt auf der Westküste der Lofoten und hat einen fast freien Blick nach Norden, eine perfekte Ausgangslage für Polarlichter. Zudem gibt es noch das “Dragon Eye”, eine Steinkuhle in deren Mitte ein fast perfekt runder Stein liegt - ein super Motiv für den Vordergrund. Wir machten uns also auf den Weg, diesmal ohne Atlas - der würde eh nur frieren und keine Freude daran haben. Nach einer kleinen Straßenblockade von einem Bagger parkten wir den Bulli auf dem Campingplatz, direkt am Strand. Natürlich gab es auch wieder kostenlose Toiletten und wir konnten uns entspannt auf die Suche nach dem Dragon Eye machen, dass im dunklen mit Taschenlampen übrigens garnicht so einfach ist. Aber wir fanden es und nachdem ich meine Kamera aufgebaut hatte begann Aurora am Himmel zu tanzen. Als hätte sie uns erwartet, wie ein festes Treffen, und es war das schönste Treffen, dass ich mir hätte wünschen können…

Aurora verblasste und mit magischer Erfüllung machten wir uns wieder auf den Rückweg. Den Tag beendeten wir mit dem nächsten Herr der Ringe Teil, während weitere Polarlichter über dem Nusfjord tanzten…


09.11.22

Halbzeit im Nusfjord. Unser Plan für den Tag beinhaltete wieder eine Wanderung, die Muskeln sollten sich doch mal entspannt haben… Naja, aber dazu später mehr.

Wir frühstückten super schnell und kamen bereits um 9:00 Uhr am Startpunkt der Wanderung an. Kvalvika Beach war unser Ziel. Ebenfalls auf der westlichen Küste der Lofoten gelegen, ist der Strand einer der wohl beliebtesten und bekanntesten Touri Spots. Umgeben von hohen Felswänden und Bergspitzen liegt ein fast weißer Strand mit strahlend blauem Wasser. Wirklich besonders jedoch ist die Geschichte der zwei Surfer, die dort aus angeschwemmten Müll eine Hütte gebaut hatten.

Die beiden lebten 9 Monate in ihrem kleinen improvisierten Domizil. Mehr zu den Beiden könnt ihr in ihrem Dokumentarfilm “North of the Sun” erfahren.

Wir starteten am kleinen Parkplatz und freuten uns über den einfachen, allerdings auch eisglatten Wanderweg. Nach rauhen Steinstufen und festgetretenen Naturpfaden, läuft man über schmale Holzstege die unter anderem die moorigen Bereiche schützen sollen. Diese waren allerdings leicht übergefroren und daher war es eine etwas rutschige Angelegenheit. Im Gegensatz zum Festvågtind war das ein angenehmer Spaziergang. Nach etwa 45min erreichten wir den höchsten Punkt des kleinen Hügels zwischen den deutlich höheren Bergen. Ab da mussten wir dann absteigen um an den Strand zu kommen, also ca. 200m wieder runter durch ein riesiges Geröllfeld, bei dem netterweise kleine Holzlatten den “besten” Weg runter markierten. Ein wenig wie bei der Ostereiersuche, mussten wir ganz genau hinschauen um die kleinen Stängel zwischen den Felsbrocken zu entdecken. Und dabei fiel mir dann leider auch auf, dass meine Waden doch noch nicht wieder ganz fit waren vom Festvågtind. Der Abstieg wurde so schnell zum verhassten Teil der Wanderung und die zugefrorenen Eisflächen halfen dabei überhaupt nicht. Nach fast einer weiteren Stunde erreichten wir endlich den Strand, und wie eigentlich immer in Norwegen, der Weg hatte sich gelohnt…

Der Strand war menschenleer, also konnte Atlas ohne Probleme mal frei rumpesen und wie wild Kreise in den Sand laufen. Er liebt Sand, also war das eine echt schöne Möglichkeit für ihn mal frei zu sein. Wenn es nicht so kalt und windig gewesen wäre, hätte man auch denken können, dass man irgendwo in der mediterranen See Urlaub macht. Die Farben passten zumindest. Wie das mit dem Müll ist, bin ich mir jedoch nicht sicher.

Überall lagen angespülte Reste von Fischernetzen und anderer Müll. Kein schöner Anblick, wenn man bedenkt wie es um unsere Umwelt steht und besonders merkwürdig nachdem wir in Norwegen sonst kaum Müll haben rumliegen sehen.

Normalweise wird in Norwegen auf die Natur geachtet, dass dann aber der intensive Fischfang zu solchen Verschmutzungen führt, scheint nicht beachtet zu werden.

Ich lass mich da natürlich eines besseren belehren, aber bis auf die Eigeninitiative der Wandernden, die Müllsammelstellen errichtet haben, konnte ich keine Maßnahmen zum Schutz der Strände sehen…

Die Kreativität mit dem Müll umzugehen ist jedoch beeindruckend. Nicht nur gibt es die bereits erwähnte Hütte (die wir übrigens nicht gefunden haben), es gibt auch eine zusammengeschusterte Schaukel aus Treibholz und Seilen. Man muss das Leben nehmen wie es kommt, I guess…

Der Ryten mit seinen 543m bietet eine wunderbare Aussicht über den Kvalvika Strand, und mein Ego wollte natürlich unbedingt einen weiteren Berg in Norwegen besteigen, also starteten wir den Aufstieg.

Ich frag mich bis jetzt noch was mich da geritten hat. 543m steigen? Während meine Beine noch immer wie Wackelpudding vibrierten wenn ich mal ein paar Treppen stieg? Lächerlich.

Das wurde mir dann nach 90m Anstieg auch endlich bewusst. Der Wind arbeitete ebenfalls gegen uns, und als eine starke Windböe mich beinahe hintenüber den Pfad runterrollen ließ, setzte ich mich und schmollte. Es regte mich innerlich so auf, dass ich nicht noch einen Berg besteigen würde, dass ich schwach war und nicht wie die nun angekommenen Wandernden einfach den Weg hochstratzen konnte. Es zog richtig an meiner Laune und wer sich schonmal mit dem eigenen Ego auseinandergesetzt hat weiß vielleicht, wie viel Energie das zieht. Der Rückweg entwickelte sich dementsprechend zäh und anstrengend…

Leider erholte sich meine Stimmung nicht, trotz des schönen Abstiegs (nach dem sch**ß anstrengenden Aufstieg). Und so grummelte ich vor mich hin und leckte die Wunden meines angeschlagenen Egos. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Erfahrung ich mit mir selbst und meinen Emotionen gemacht habe, und es mir trotzdem immer mal wieder schwer fällt, mich aus solchen Situationen raus zu holen. Umso dankbarer bin ich für diese Lehre, die mir mal wieder Mutter Natur gezeigt hat. Das nächste mal wenn ich körperlich angeschlagen bin, werde ich mich nicht irgendwo rauf quälen oder schlechte Laune haben, weil etwas nicht so gelaufen ist wie ich es erwartet habe. Erwartungen sind wirklich die Killer der Freude…


10.11.22

Für Donnerstag hatten wir uns vorgenommen, das “Pre Christmas Adventure” in Henningsvær zu besuchen. Ich bin ja eine totale Weihnachtsverrückte, also stand schon vor Beginn der Reise ein Besuch in Henningsvær auf dem Plan.

Da für mich so ein Weihnachtsspektakel aber erst richtig schön im dunklen ist, konnten wir die paar Stunden Sonnenschein am Vormittag in Ruhe genießen, bereits unsere Rückreise planen und eine schöne Spaziergangsrunde mit Atlas machen.
Danach machten wir uns dann auf den Weg, die Sonne ging zu dem Zeitpunkt ja schon gegen 14:30 Uhr unter.

Kurz nach 15 Uhr trudelten wir in Henningsvær ein und erinnerten uns daran, dass die meisten Geschäfte im Umkreis ja nur bis 16 Uhr geöffnet hatten. So ein großes Abenteuer war es dann nicht wirklich. Schön war es, aber ob ich es “Adventure” nennen würde? Ne, also da ist der Hamburger Rathaus Weihnachtsmarkt ein stärkerer Kandidat für. Aber es war nett, einfach mal entspannt durch die Gegend zu schlendern und nochmal einen Blick auf den Festvågtind von unten zu erhaschen.

Wir kauften ein paar echt schöne Kerzen aus einer kleinen Manufaktur, stöberten in einem Dekogeschäft und kauften vegane Hveteboller (Hefebrötchen) bei Joker. Und als alle Läden schlossen, fanden wir doch noch ein kleines süßes Restaurant in einer charmanten Gasse, dass einen veganen Burger anbot! Unglaublich, sensationell und sehr überraschend doch tatsächlich etwas veganes zu finden. Wir gönnten uns den leckeren Burger und fuhren danach wieder zurück ins AirBnb um weiter Herr der Ringe zu schauen. Es ist unnormal lustig wie wenig man von den Filmen schafft, wenn man immer nach knapp einer Stunde auf dem Sofa wegpennt…


11.11.22

7 Uhr klingelte der Wecker und wir vertilgten zügig unser Frühstück. Die Zeit mit Tageslicht wurde immer kürzer, daher wollten wir früh aufbrechen um den Uttakleiv Strand nocheinmal zu besuchen.

Kurz vor 10 Uhr erreichten wir dann den Hauklandstranda und starteten von dort unsere Wanderung um die beiden Berge Veggen und Mannen. Für einen Aufstieg reichte die Energie an dem Tag nicht, mal abgesehen von der großen Regenfront die auf uns zu kam - die entspannte 7km lange Wanderung war also die beste Wahl.

Am Strand konnten wir Kormorane beobachten und ich sammelte die zauberhaft bunten Muscheln die den Sand zierten.

Es dauerte nicht lange bis uns die Regenfront einholte und unseren Spaziergang zur Dusche in Bewegung wandelte. Zwar stellten wir uns in eine kleine Steinhöhle, die bei gutem Wetter wohl auch gerne zum Grillen genutzt wurde, aber durchnässt waren wir am Ende trotzdem. Vorallem Atlas gefiel es garnicht ein lebendiger Wischmopp zu sein, aber er lief tapfer mit uns mit - er hatte ja auch keine andere Wahl…

Der letzte Abschnitt der Runde war dann aber gnädig mit einem langen Tunnel durch die Berge.

Diese Strecke gefiel uns besonders, da sie trotz ihres einfachen Levels wunderbare Aussichten bot und wir die wilden Berge der Lofoten von einem entspannten Rundweg bestaunen konnten.

Der Uttakleiv Strand sah am Tage auch völlig anders aus und wir fanden tatsächlich nicht nur ein Dragon Eye, sondern mehrere. Also garnicht so besonders wie ich gedacht hatte und wie es im Internet verbreitet wurde. Obwohl es ein erstaunliches Zeugnis der intensiven Beziehung zwischen Wasser und Zeit darstellt.

Unsere Aufregung hatte sich nun in pure Entspannung und Entschleunigung gewandelt und so genossen wir unseren letzten Ausflug vor der Abreise mit jedem Schritt.

Zurück im AirBnb trockneten wir unsere Kleidung und Schuhe vor dem molligen Kamin, kuschelten uns auf’s Sofa und lasen in unseren Büchern.

Der letzte Abend ohne Rückreise-Vorbereitung war still und besinnlich. Die Vorfreude auf Zuhause war zwar da, aber schon jetzt kam auch die Trauer über den Verlust dieser Ruhe auf.

Wir hatten eine Immobilien Anzeige in einem Schaufenster gesehen. 700.000€ für eine eigene Insel mit 2 Häusern und genug Platz für eine Landebahn. Soviel Land, dass man von einer Spitze zur anderen 30 Minuten laufen müsste… Ein Traum. Ein unvernünftiger Traum. Oder…?

Der Abend endete mit einem weiteren Herr der Ringe Teil, den wir mal wieder nicht beendeten. Aber wenigstens war es mittlereweile der letzte Teil.


12.11.22

Die Aufbruchsstimmung kam richtig in die Gänge, als wir nach einem entspannten Morgen in Leknes für die Rückreise einkauften. Zum Glück hatten wir noch immer einen großen Teil unserer mitgenommenen Lebensmitel, aber ein paar frische Zutaten brauchten wir nun doch. Auch ein Kühlschrankmagnet - für unsere Sammlung -, ein paar Lofoten-Socken, Sticker und eine gelbe Lofoten Mütze durften noch mit. Und als wir wieder zurück beim AirBnb waren, begann meine Tetris-Einräum Action von Neuem. Den Kühlschrank wieder einschalten, die Kleidung die wir nicht mehr brauchten und einen Großteil der Nahrungsmittel fanden bereits ihren Platz. Den Abend speisten wir leckere Bratkartoffeln und beendeten die Herr der Ringe Triologie.

Gute Nacht Norwegen… ich vermisse dich schon jetzt…


13.11.22

Der letzte Tag im Nusfjord brach an und wir entschieden uns den Morgen getrennt von einander zu verbringen. Jonas wanderte zum Leuchtfeuer und ich praktizierte Yoga. Nach so vielen Tagen äußere Eindrücke brauchte ich Zeit, um meinen Blick wieder nach innen zu richten und die Geschehnisse zu verarbeiten. Bevor es zurück nach Hause ging, wollte ich meine geistige “Festplatte” etwas aufräumen. Und Jonas wollte unbedingt nochmal den kleinen Leuchtturm sehen, dabei entstanden diese wunderbaren Bilder:

Wir kamen bei unserem Frühstück wieder zusammen und Jonas erzählte mir von seinem Ausflug und dem matschigen Weg. Seine Begeisterung galt vorallem dem Farbspiel zwischen Blau und Rot in den Wolken und den Bergen.

An dem letzten Tag wollte ich noch ein Familienfoto von uns machen - wie auf jeder Reise. Also wanderten wir los, zu einem Spot kurz vor Nusfjord: eine sich schlängelnde Straße, im Hintergrund eine wunderbar symmetrische Bergspitze. Ein tolles Motiv - nur leider machte ich die Rechnung nicht mit dem Wetter. Es pieselte die ganze Zeit vor sich hin und nach nur 20 Minuten gehen war alles an uns schon wieder so nass, dass ich grummelig wurde. Jonas - der Held der er ist ♥ - joggte die Strecke wieder zurück und sammelte Atlas und mich mit dem Auto ein. Den rest der Strecke fuhren wir dann mit dem Auto, was vielleicht gerade mal 5 Minuten dauerte… Und dann: Nix. Nix mit schöner Bergspitze. Die Regenwolken hingen so tief, dass die Bergspitze sie krampfhaft festhielt und sich dahinter versteckte.

Also alles auf Anfang, zurück zum AirBnb und erstmal wieder trocken werden.

Mein Ziel verlor ich trotzdem nicht aus den Augen. Sobald sich das Wetter beruhigte und die Weihnachtslichter den Nusfjord erhellten, spazierten wir los zum Hafen und ich hielt den letzten Abend mit meiner Kamera fest.

Der Camper war zu 90% fertig gepackt als wir es uns ein letztes Mal auf dem Sofa gemütlich machten. Nun war die Vorfreude auf Zuhause stärker als die Trauer um den Abschied.

Und unser Familien Foto war perfekt:


14.11.22

Der Tag der Abreise startete unmenschlich früh gegen 5:30 Uhr, zumindest für Jonas der bereits die Bude aufräumte. Ich stand um 6 Uhr auf und räumte die letzten Sachen in den Bulli. Natürlich haben wir beide nochmal geduscht, denn mittlerweile war es so kalt, dass selbst eine Katzenwäsche im Bulli unmöglich sein würde.

Durch unsere gründliche Vorbereitung konnten wir bereits um 7:30 Uhr los fahren. Oh und der Abschied war schwer. So schwer, dass ich den Tränen nah war… Doch der Nusfjord und die Lofoten verabschiedeten uns mit den unfassbarsten und magischsten Farb- und Lichtspielen die wir bisher bezeugen durften (ausgenommen Aurora). Und wie schon bei der Ankunft in den Lofoten, eröffnete sich nach jeder Kurve eine neue malerische Kulisse der Schönheit. Die Lofoten wünschten uns eine gute Heimfahrt. Ihr Licht rief “Auf Wiedersehen!”.

Und auch ich verabschiede mich an diesem Punkt.
Im Dritten Teil geht es weiter mit der Rückreise und einigen Tipps und Ratschlägen.

Danke für’s lesen!
Angi ♥

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Norwegen - ein Abschied auf Zeit

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Norwegen - Wenn Träume in Erfüllung gehen