Sächsische Schweiz - Erleuchtung
Oh wie habe ich auf diesen Trip hingefiebert. Das Countdown Widget auf meinem Handy zeigte jeden Tag eine kleinere Zahl an und mit jedem Tag der verging, wurde die Vorfreude größer.
Ich hab schon am Freitag angefangen zu packen, um Samstag noch die letzten Dinge einzukaufen und Sonntag nur noch mein Laib Brot einzustecken (beste Idee überhaupt! Selbstgebackenes Brot!). Da ich mich schon vorher über Maps in Schmilka umgesehen habe, wusste ich, dass es dort keinen Supermarkt oder kleinen Laden geben würde, bei dem ich mal schnell einkaufen könnte. Also wurde soviel Essen von Zuhause mitgenommen wie in den Trekking Rucksack passte, den ich gerade erst von Jonas zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte.
Montag um 4:30 Uhr klingelte der Wecker und so aufgeregt wie ich war, stand ich sofort auf. Ich hatte gerade mal 3,5 Stunden geschlafen war aber trotzdem topfit. Nach einem letzten nährenden Frühstück, wie ich es fast täglich esse, ging es zum Bahnhof. Um 6:48 Uhr fuhr mein Zug ab, ein überfüllter EC, der aber wenigstens angenehm kühl war. Atlas unter den Sitz geschoben und die nächsten Stunden nix mehr von ihm gehört. Auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag, aber dieser kleine Wirbelwind ist in der Bahn wohl der entspannteste Hund den ich je gesehen habe.
Mir gegenüber saßen zwei Männer mittleren Alters, die ein Haufen Camper Zeitschriften dabei hatten - und einen Playboy. Auch wenn ich mich mit dem Playboy nicht auskenne, so bezweifle ich doch, dass er eine informative Leselektüre für eine Zugreise ist. Das Bewusste durchblättern des Heftchens ließ direkt erahnen was dort für Männer saßen. Oh und wie ich immer wieder versuche Voruteilen keinen Raum zu lassen, so waren diese beiden wandelnden Adamsäpfel jedoch Prachtexemplare der unteren Entwicklungsklasse des männlichen Geschlechts. Von anzüglichen Kommentaren über junge Frauen die an unserem 4-er Sitzen vorbei liefen, bishin zu rassistischen und stupiden Frotzeleien anderen Fahrgästen gegenüber, die kein Deutsch sprachen, war alles dabei. Ab und zu versuchten sie, mit mir ins Gespräch zu kommen, womit sie bei mir jedoch nicht gerechnet haben ist eine massive Wand an der kein verschrobenes Männerbild dran vorbei kommt. An dieser Stelle auch ein Dank an Nathaniel Baldwin, der 1910 die ersten Kopfhörer, wie wir sie heute kennen, erfunden hat!
Um 11:43 Uhr kamen wir in Bad Schandau an. Das größere Örtchen vor Schmilka. Dort warteten wir eine Stunde bis unsere S-Bahn kam. Und dann endlich, nach fast 6 Stunden, erreichten wir Schmilka’s Bahnhof. Der Anblick, schon von der Bahn aus war atemberaubend! Diese Steinformationen sind für mich als Stadtkind unfassbar. Ich war von der Fahrt zwar erschöpft, aber freute mich so sehr endlich da zu sein, dass ich einfach nur über beide Wangen grinste und wie ein typischer Touri alles mit meinem Handy einfangen musste.
Mit der kleinen Fähre für 2,50€ schnell ans andere Ufer geschippert und die einzige wirklich bewohnte Straße Schmilka’s hoch spaziert. Ich war 2 Stunden zu früh als der eigentliche Check-In, wurde aber trotzdem zu meinem kleinen Zimmer gebracht. Ein Zimmer für Zwei war es, mit einem alten Sandfarbenen Teppich, der an vielen Stellen schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ein altes Bucheholz Bett, mit passenden Beistelltischen, denen es ähnlich erging wie dem Teppich. Ein viel zu großer Buche Kleiderschrank und ein altes Sofa mit Schlaffunktion, dass mit dem Print an die frühen 90er Jahre erinnerte. Ein runder kleiner Tisch stand in der Ecke beim Fenster, bedeckt mit einer verwaschenen Blümchentischdecke und zwei Stühle dazu. Das Bad war winzig, besaß aber ein Fenster, dass mich direkt auf die nächsten Tage einstimmte. Der Ausblick war nämlich direkt auf eine Felswand, die mit Moos und Farn bewachsen war. Es war kein Palast und die Sauberkeit war auch nicht von erster Güte, aber es reichte für die 4 Nächte die ich dort verbringen würde. Die grässliche Blumentischdecke und das Plastikblümchen beiseite geschoben, war es auch garnicht mehr so kitschig.
Nachdem alles ausgeräumt, weggepackt und geordnet war, legte sich die Aufregung und die Erschöpfung wiegte mich in ein herrliches Nickerchen. 2 Stunden später war die Energie wieder da und die Motivation los zu ziehen und schonmal was von den großen Felsen vom Nahen zu sehen. Also Kamera und Snacks eingepackt, Rucksack aufgeschnürt und los ging es - die erste Wanderung meiner Reise. Ziel: die Kipphornaussicht, die von meiner Pension aus nur 2,8km entfernt war. Ich vergaß jedoch, dass nicht nur die Entfernung zählt sondern auch die Höhenmeter die ich steigen müsste um dort hoch zu kommen. Aus mal eben zum Kipphorn wurde dann, ohje, dass wird anstrengend die nächsten Tage. Die Aussicht liegt nämlich in einer Höhe von 480m, und steigen musste ich von meiner Pension aus 359m. Also beinahe 3 mal den Hamburger Michel hoch.
Der Weg war trotzdem wohl einer der leichtesten, des ganzen Trips. Nach einem häuprigen Start über große Steine und einer beachtlichen Steigung wurde es dann ganz angenehm in einem dicht bewuchertem Waldstück, bei dem der Boden weich und sandig war. Nur abundzu bahnten sich Wurzeln ihren Weg. Atlas gefiel dieses Stück auch am besten. Leicht moorig/feucht und mit viel Moos und hohem Gras, freute er sich kugelnd über die erfrischende Natur. Irgendwann kommt man auf die Winterbergstraße. Eine richtige Straße, nur das keine Autos fuhren. Diese führte wie Serpentinen immer weiter nach oben. Auf dem ganzen Weg nach oben konnten wir bereits riesige Felsen bewundern. Mit den verschiedenen Strukturen und den wahrlich lebhaften Bewucherungen, war jeder Einzelne ein Kunstwerk.
Irgendwann erreichten wir den höchsten Punkt dieser Wanderung, 508m um genau zu sein. Von dort war es nur noch ein kurzer Fußmarsch und mir kam eine Aussicht entgegen, die ich so wohl noch nie gesehen habe. Ich kann nicht in Worte fassen wie ich mich in dem Moment fühlte, ich konnte nur noch weinen. Endlich waren auch meine Emotionen im Hier und Jetzt angekommen, endlich kamen die reinigenden Tränen. Ich war erleichtert, glücklich, gestärkt und fühlte mich trotz der schwindelerregenden Höhe so standfest und geerdet wie nie zuvor. Ich war wieder dort wo meine Seele hingehört. Draußen, in der Wildnis. Frei von allen Begrenzungen und Gittern, frei von Verpflichtungen und Erwartungen. Einfach ich und Mutter Natur. Endlich. Endlich wieder frei atmen.
Es war knapp 18 Uhr als wir bei der Aussicht ankamen. Kein Mensch weit und breit, Atlas und ich waren vollends allein und konnten diesen Blick und dieses Gefühl bis zum letzten Tropfen auskosten. Ich zog die Schuhe und meine Socken aus um die warmen Steine unter meinen Füßen zu spüren. Einfach so ohne Zwang oder Plan, begann ich eine kleine Yoga Sequenz mit anschließender Ajna (Drittes Auge) fokussierten Meditation. Bestimmt 10 Minuten verharrte ich dort in meiner Meditation, bis es zu einem magischen Moment kam. Die Sonne war in der Zeit so gewandert, dass der Schatten des Geländers nicht mehr mein Gesicht verdeckte und die Wärme mir direkt zwischen meine Augenbrauen scheinen konnte. Hinter meinen Augenlidern wurde es hell und die Wärme machte sich breit, auf einmal fühlte sich alles vollkommen an. Ich war richtig in diesem Moment, alles was mich in den letzten Monaten getrieben hatte, hat mich hier her gebracht. Hat mich hier ankommen lassen. Atlas kam zu mir und lehnte sich fest an mich. Schon wieder kamen mir die Tränen. Sich bewusst zu werden, dass man endlich ein Leben hat, dass einen erfüllt und einem die Freiheit gibt, der man schon immer nachsehnte - es gibt wohl nichts großartigeres.
Gegen 19:30 Uhr tritten wir den Rückweg an, um nicht ohne Sonne im Wald laufen zu müssen. Genau der selbe Weg wie zuvor, doch diesmal mit einem geöffnetem Geist und einem ganz anderen Licht.
Wieder in der Pension angekommen, war ich hungrig und schon sehr erledigt vom Tag. Also noch fix eine Dose Vegane Gulaschsuppe gefuttert, geduscht und ins Bett. Der Tag endete mit der Erkenntnis, dass Atlas vermutlich jeden Tag 5 Zecken haben würde, mein Zimmer ein Paradies für Insekten ist und dass ich meine gewichtete Decke und mein Memory Foam Kissen doch sehr vermissen werde.
Aber ich war glücklich.
Abschließend zum Ersten Teil des Wander-Bericht’s hier noch ein Video-Zusammenschnitt des Tages:
Danke, dass du bis hier her gelesen hast!
Angi