Sächsische Schweiz - kurz vorm Aufgeben

Tag 2 des Trips begann mit einer kleinen Runde an der Elbe und einem guten Frühstück. Dann die Planung der Tageswanderung. Mein Plan war groß, ich wollte möglichst viel sehen und erkunden, nur macht das Leben Pläne ohne einen und meine Tour sollte, so wie ich sie mir vorstellte, nicht ablaufen…

Wir gingen los - zuerst nochmal zur Kipphornaussicht, da es mir dort so gut gefiel und ich einen Auftrag für diesen Tag hatte; Ich wollte Asche verstreuen - die Asche meines ersten Kaninchens Sammy. Sammy ist 8 Jahre alt geworden, lehrte mich wie schützenswert Tiere sind und war der erste Anstoß ein vegetarisches Leben zu führen. Ich hatte mit ihr eine Bindung die sich kein Mensch ausdenken oder fantasieren könnte. Für mich war sie nicht “nur” ein Kaninchen. Sie war meine erste beste Freundin und mein Mahnmal für die Liebe zu Tieren. Am 07.07.2014 schlief sie für immer in meinen Armen ein.

Die Kipphornaussicht wäre perfekt gewesen um sie zu verstreuen. Ihr die Freiheit zu schenken. Nur leider waren ein haufen Menschen dort. Sobald soviele Menschen an so einem Ort zusammen finden, verliert er für mich seine Magie. Wenn man laut und ohne Respekt der Natur gegenüber da lang trampelt, laut Musik hört oder im schlimmsten Fall noch Müll in die Gebüsche wirft - vergeht einem die Freude. Ich werde es wohl nie verstehen wie die meisten Menschen so rücksichtslos und egoistisch leben können…

Nach 20 Minuten warten, ob dort weniger Menschen sein würden, verließen wir die Kipphornaussicht und setzten unseren Weg Richtung dem Großen Winterberg fort. Der Große Winterberg ist nur ca. 60m höher als die Kipphornaussicht, also würde der “Aufstieg” nicht annähernd so anstrengend sein wie erstmal auf die KHA zu kommen. In diesen Gebieten war ich immer höchst alamiert, dass Atlas nicht abrutscht oder sonstwie fällt. Also immer wenn wir auch nur in die Nähe von Hängen und Abgründen kamen, leinte ich ihn an. Der Weg zum Großen Winterberg jedoch ist nicht gefährlich, zumindest nicht auf dem ersten Blick…

Wir liefen den Weg entlang, als ich einen kleinen künstlich angelegten Tümpel entdeckte, aus dem Atlas trinken könnte. Woran ich dabei nur nicht gedacht hatte war, der Tümpel war komplett in grüner Entengrütze eingedeckt, auf den ersten Blick also einfach eine weitere grüne Fläche im Wald. So sah ihn auch Atlas und stürmte fröhlich darauf zu, stieß sich noch ein letztes mal vom festen Boden ab und ging mit einem lauten Platschen kopfüber unter. Er kam schnell wieder hoch und paddelte wie verrückt. Ich wusste noch garnicht was gerade passiert war als ich ihn rief, um ihn die Richtung zu weisen, in die er paddeln musste. Er stand unter Schock, sodass er immer weiter in die Mitte des Sees strampelte. Geistesgegenwärtig rief ich weiter seinen Namen und zog in Windeseile meine Schuhe und meine Socken aus. Er drehte sich zu mir und ich lobte ihn als ich rasch ins miefende und undurchsichtige Nass lief. Mit Rucksack und Kleidung lief ich einfach in den Tümpel, der schon nach 30cm so tief war, dass ich kaum halt finden konnte. An einem metallernen Steg konnte ich mich halten und noch bevor meine Hüfte das Wasser traf zog ich schnell mein Handy aus der Hose, legte es auf den Steg und ergriff im selben Moment Atlas’ Geschirr, zog ihn hoch und zu mir. Ich drehte mich um und schmiss ihn Richtung Ufer, aber ließ ihn dabei nicht vollständig los.

In dem Moment fühlte sich alles wie eine Ewigkeit an. Es war wie ein ganzes Leben, als er mich mit seinen weit aufgerissenen Augen anstarrte und versuchte nicht unter zu gehen. Als nur noch sein kleines Köpfchen oben trieb und ihn mehr und mehr die Kraft verließ. Um ein Haar hätte ich mein Baby sterben sehen.

Als wir beide heil am Ufer ankamen, zitterte ich als hätte man mich unter Strom gesetzt. Erst jetzt konnte ich richtig begreifen, was gerade passiert war. Erst jetzt viel mir wieder ein, dass ich Angst vor Gewässern habe, in denen ich nichts sehen kann. Ich brach in Tränen aus und ließ mich auf einen Baumstamm sinken. Atlas wälzte sich auf dem Boden um wieder trocken zu werden - als wenn nichts gewesen wäre. Ich leinte ihn an, nur um sicher zu gehen, dass er nicht erneut ins Wasser rennen würde. Ich fühlte mich entmutigt, schwach und als ob ich diese Verantwortung nicht tragen könne - Die Verantwortung für meinen Seelenhund.

Mit meinen zwei letzten Taschentüchern trocknete ich meine Füße und Waden. Die Leggings die ich trug triefte vor nach Gülle riechendem Wasser. Ich zog meine Socken und Schuhe an, die nun doch nass waren da Atlas und ich drüber gelaufen sind als wir aus dem Tümpel kamen. Wir setzten den Weg fort, denn ich hatte die Hoffnung auf dem großen Winterberg kurz Rast halten zu können um mich wieder zu besinnen, zudem wollte ich einfach nur weg von diesem Tümpel! Der Winterberg war nicht das was ich erwartete hatte und im Endeffekt nur eine Lichtung im Wald mit überteuertem fettigen Essen und zuckrigen Getränken. Also gingen wir weiter, bis wir an einer Wegeskreuzung ankamen, bei der ich mit Jonas telefonierte und ich ihm erzählte was passiert war.
Meine Hose hatte ich mittlerweile ausgezogen und zum trocknen auf einen Baumstamm gelegt.

Ich wollte Aufgeben. Ich wollte nur noch nach Hause. Den nächsten Zug direkt zurück nehmen. Ich hatte Angst, war verunsichert und stellte alles in Frage. Ich wusste nicht wie ich die kommenden Tage überstehen und meistern sollte, immerhin habe ich schoneinmal nicht geschafft meine Verantwortung zu tragen. Jonas rief mir ins Gedächtnis, dass ich auch zu Hause diese Verantwortung trage, dass dies ein Unfall war der nicht beweist, dass ich ein unfähiger Mensch bin - Er beweist, dass ich in schweren Situationen handeln kann und sehr wohl Verantwortung übernehme. Er hatte recht. Natürlich hatte er das. Meine Ängste haben mich geblendet und mir die Sicht für das Wahre kurzzeitig genommen.

Nach einer Pause und vielen Tränen packte ich meinen Mut zusammen und entschied weiter zu gehen, hängte meine immernoch nasse Leggings an meinen Rucksack und entschied mich für eine kürzere Wanderung, da mir dieses Erlebnis schon genug Aufregung gebracht hatte.

Die Angst ließ mich jedoch nicht los - wie bei den Daltons, von Lucky Luke, hing sie mir wie eine Sträflingskugel am Bein. Wir gingen einen einsamen Wanderweg entlang als es mich plötzlich packte. Ich wusste wieder, wie ich mir helfen konnte, wie ich das Alles verarbeiten konnte, um mich wieder frei zu machen.

Umgeben von wunderschönen Steinformationen und einem magischen Sonnenstrahl durch die Blätterdecke der Bäume entschied ich mich zu fotografieren. Mich zu fotografieren. So wie ich bin. So wie ich mich fühlte. Roh. In der Klemme. Pur. Einsam. Weich umgeben von der harten Realität.

Oh wie befreiend das war. Ich fühlte mich noch nie so sehr mit der Erde und Mutter Natur verbunden wie in diesem Moment. Es war wunderbar und ich würde es jederzeit wieder tun. Wie lange träumte ich schon davon solche Bilder zu machen - endlich habe ich es umgesetzt.

Tatsächlich kam ein Wanderer den Weg hinunter als ich gerade beginnen wollte, ich versteckte mich in der Steinspalte und hoffte, dass er einfach weiter ginge und bloß nicht fragte was ich da mache… Ich hatte Glück, es schien als hätte er mich nichtmal bemerkt. Nachdem ich die Bilder im Kasten hatte schlüpfte ich schnell wieder in mein Shirt und meinen Slip - denn die Leggings war noch immer nass - und ging den Weg weiter runter. Dort kamen mir dann wieder zwei Wanderer entgegen - was ein Glück ich doch hatte.

Den Weg den wir nahmen ging immer weiter runter und in meinem Kopf kam mir die Erinnerung, dass der Kleine Winterberg, zu dem ich wollte, in einer Höhe von 500m lag. Die Faustregel und die Sätze die ich mir immer wieder sagte waren also: “Nachdem Aufstieg, gibt es immer einen Abstieg” und “Alles was du jetzt runterläufst, musst du später wieder rauf” - Juhu…

Der schwerste Abstieg auf dieser Strecke war durch das “Heringsloch” - dort lagen nämlich riesige Steine die komplett mit Moos überwachsen aus dem Boden ragten. Atlas also wieder an die Leine um sicher zu gehen, dass er nicht abrutscht und sich verletzt und gleichzeitig darauf achten nicht selbst zu stürzen und sich am besten noch ein Bein zu brechen.

Und trotzdem - es war wunderschön.
Wie in einer Parallelwelt, befand ich mich in einer magischen Umgebung. Abundzu hätte ich schwören können, das Glitzern von Feenflügeln gesehen zu haben oder das Kichern von kleinen Kobolden zu hören. Es war warm und feucht, der Wind seuselte durch die dichten Blätter und bahnte sich sacht den Weg durch die Steine. Die Spinnenweben glänzten in der Sonne und die Vögel sangen liebliche Lieder. Bei jedem Atemzug konnte ich die schwere Feuchtigkeit auf meiner Zunge spüren, ein leichter Schimmer lag auf meiner Haut. Wie umgeben von einer warmen, feuchten Decke stieg ich langsam und behutsam den Weg hinab.

Wir gingen den Königsweg entlang, der ausnahmsweise wunderbar zu laufen war. Sanfter Sand, Heide und Heidelbeeren säumten den Wegesrand. Wir liefen am Heringstein und Gleitmannshorn vorbei und konnten schon einen Blick auf den Kleinen Winterberg erhaschen, als wir am Fuße des Gesteins entlang gingen. Ein beeindruckendes Bild. Und gleichzeitig so bedrohend. Denn Sandstein ist weich, sehr weich. Wie konnte man sich darauf verlassen, dass nicht jeden Moment ein Brocken abbrechen und herunter stürzen würde? - Garnicht. Das macht es so faszinierend und Aufregend.

Am Fuße des Kleinen Winterberges standen wir nun und blickten rauf zu hunderten Stufen die im Zickzack den Berg hinauf führten. Zum Glück waren es hölzerne Stiege die auch Atlas laufen konnte, so musste ich ihn nur selten tragen - den Rest meisterte er tapfer alleine. Eine Familie begab sich gleichzeitig mit uns nach oben, immer wieder überholten wir uns gegenseitig wenn der andere mal eine Pause einlegte. Noch immer nur in Shirt und Slip bekleidet stieg ich also auf.

Oben angekommen waren wir beide erschöpft und mussten uns erstmal den richtigen Ort suchen um uns niederzulassen. Denn mit 4 aufgedrehten Kindern wollte ich mich nicht freiwillig umgeben. Also liefen wir noch weiter bis wir den Unteren Fremdenweg entlang an eine Südspitze gelangten die vielversprechend ruhig war. Eine große weiße Steinfläche mit tiefen Schluchten und Rissen begrüßte uns, als wir aus den Bäumen traten - und ein Ausblick der mich nochmehr zu erstaunen vermagte als der auf der Kipphornaussicht. Endlich angekommen ließen wir uns hinter Felsen, direkt vor dem Abgrund, in ca. 450m Höhe nieder.

Hier sollte nun der Perfekte Ort sein um Sammy’s Asche zu verstreuen. Ich stellte mich an den Rand und wartete auf den nächsten Windstoß um dann ihre Asche los zu lassen. Endlich war sie frei.


Wir verbrachten noch ein wenig Zeit dort oben - bis meine Hose trocken war - und machten uns dann langsam wieder auf den Weg zurück. Hätte ich gewusst, dass der Rückweg ohne diese ganzen Stufen gewesen wäre, hätte ich ihn schon früher gewählt! Die ganze Situation mit Atlas wäre dann nie passiert aber ich hätte auch die Bilder von mir nicht machen können. Das Universum hat einen Plan für mich, manchmal weiß ich nicht wie ich ihn deuten soll - aber irgendwie lehrt er mich doch immer wieder Neues.

Der Weg runter war angenehm, bis ich hinter einer Gruppe “Partypeople” landete die extremst laut Musik durch die Wälder dröhnte und in dem ohnehin Brand-gefährdeten Wald ihre Zigaretten rauchten und überall hinschmissen. An dem Punkt war ich so sauer und genervt, dass ich die Natur die mich umgab kaum wertschätzen und wahrnehmen konnte. Ich fand zwar einen kleinen Bachlauf, aus dem Atlas und ich trinken konnten und sah auch einen Bienenstamm an einem der Felsen hängen, aber die laute Partymusik und die gröhlenden Stimmen zerstörten diese Idylle. Irgendwann war ich so unaufmerksam, dass ich ausrutschte und mit meiner rechten Wade an sandigen Steinen entlang schürfte. Es brannte und blutete leicht, der Schmerz hielt sich jedoch in Grenzen.

Ich überholte die unangenehme Truppe und kam dann schnell wieder in Schmilka und meiner Pension an. War ich froh endlich wieder zurück zu sein. Ich konnte nur noch Duschen, fix was essen und legte mich dann direkt hin, so erschöpft war ich von diesem Tag. Atlas hielt ich ganz fest in meinen Armen und auch er wollte mir ganz nah sein.

Abschließend zum zweiten Teil des Wander-Bericht’s hier noch ein Video-Zusammenschnitt des Tages:

Danke, dass du bis hier her gelesen hast!

Angi

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