Nicht die Mama...

Ach hab ich mich lange davor gedrückt diesen Beitrag zu schreiben. So ein hochsensibles Thema, was Menschen schnell mal auseinander treibt. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich sowas nicht ansprechen würde. Also direkt zu Anfang ein kleiner Disclaimer:

Alles in diesem Beitrag bezieht sich ausschließlich auf mein Leben. Ich beleidige niemanden damit und möchte auch niemanden auf den Schlipps treten. Ich respektiere andere Meinungen, ich erwarte das selbe von den Menschen die dies lesen. Danke!


“Wann ist es bei euch soweit?”, “Seid ihr auch schon am planen?”, “Na, das steht euch aber gut!”, “Das kannst du auch jeden Tag haben!”, “Du wärst so eine tolle Mama! Und Jonas wäre ein super Papa!”
Wann?
Wann??

WANN???

In unserer Gesellschaft ist Familie das wichtigste, allerdings nicht aus Gründen wie Liebe oder wahrer Freude, sondern “Weil es sich so gehört” oder “Es immer schon so war”. Gerade als Frau, als kleines Mädchen wird man schon darauf getrimmt Mutter zu werden, da dass nunmal “Normal” ist und “Jede will doch Mutter werden!”. Frauen die keine Kinder haben wurden mir früher als unglücklich vorgestellt, also Kind, werd bloß Mutter… Der Druck der da aufgebaut wird zieht sich durch alles was einer Frau im Leben begegnet. Im Sexualkunde Unterricht erklärte man uns Sex = Schwangerschaft, dazu auch noch Sex = “Wenn zwei Menschen sich LIEBEN”… bis ich 11 war wusste ich nichtmal was eine Klitoris ist, denn dieses kleine tolle Teil ist nicht wichtig um sich Fortzupflanzen. Ich wusste mehr über den Penis eines Mannes als über meinen eigenen Körper. Als ich dann meine Periode bekam, brach ich zusammen, Angst davor nun eine “Frau” zu sein, Angst vor diesen ganzen Verpflichtungen, Angst vor Sex denn das ist ja nur Spaß für den Mann und Schwangerschaft für die Frau.

Bevor meine Periode begann, wollte ich am liebsten 4 Kinder. Und je mehr Jahre vergingen desto weniger wurden es, bis ich mein Grafikdesignstudium beendet hatte, da war dann auch der Kinderwunsch komplett erloschen. Die Jahre zwischen meiner ersten Periode und dem Ende des Studiums waren wohl eine der schwersten Zeiten in meinem bisherigen Leben. Habe ich doch am eigenen Leib erfahren wie unwichtig man als Kind wird wenn plötzlich andere Dinge im Raum stehen. Wie viel emotionaler Balast auf einem Kind lastet, ohne das es weiß wie es damit umgehen soll. Ich entschied mich, keinem Lebewesen diesen Scheiß anzutun nur “weil Frauen nur Frauen sind wenn sie Mütter werden”. Der Wunsch Nichtmutter zu werden stärkte sich mit den letzten Jahren immer mehr, denn jeder in meinem Umkreis wusste besser als ich “Irgendwann wird sich deine Meinung ändern”, “Ach in deinem Alter hab ich das auch gesagt!”, “Du wirst deine biologische Uhr sicher bald ticken hören.”, “Mach dir keinen Kopf, du willst sicher auch noch Kinder.” …

Wenn dir von Menschen, die du liebst, immer wieder gesagt wird, dass dein Wunsch und deine Denkweise nicht valide sind, da das ja “unnormal” wäre kocht in dir ganz langsam eine heiße, ätzende, Brühe aus Wut und Frust hoch. Mit jedem Satz mehr, mit jedem nicht-ernst-nehmen-meiner-Wünsche verfestigte sich der Wunsch der Nichtmutterschaft. Auch weil ich merkte, ich könnte diese Verantwortung nicht tragen. Weder die für das Kind noch dafür was dieses Kind in der Welt anstellen würde. Ein weiterer Mensch der diesen Planet ausbeutet und überbevölkert. Das kann ich nicht mit mir vereinbaren.

Die erste Idee war dann, mich operieren zu lassen. Raus mit der Gebärmutter, hab sie ja eh nie leiden können und meinen Körper für die ewigen Leiden der Periode gehasst. Recherchen ergaben dann jedoch, dass einer unter 30 Jahre alten Frau kein Arzt die Gebärmutter entfernen würde ohne medizinischen Grund. Ah, danke du wunderbar patriarchistisches VATER Land. Ich habe also keine Entscheidungsgewalt über meinen eigenen Körper, weil er als Gebärmaschine missbraucht, verzeihung, genutzt werden soll. Fickt euch. Aber so richtig hart und ohne Gleitmittel.
Neben den tatsächlich auch gefährlichen Nebenwirkungen und Risiken dieser OP wäre es für mich also nicht möglich gewesen, mich unfruchtbar zu machen und somit vor diesem Druck und den Erwartungen zu fliehen.

Pille war jedoch auch keine Lösung mehr, also erstmal Kondome. Ich glaube in diesen 2 Jahren habe ich mehr Schwangerschaftstest gemacht als jemand der wirklich Kinder haben möchte. Dann kommt die Periode doch mal zu spät, denn der Rhythmus ist dank der Chemiekeule völlig im Arsch, also lieber mal testen ob es nun doch passiert ist. Geheult, geschrien und jedes mal auf’s neue aufgeregt hab ich mich, wenn dann ein Kommentar bei der nächsten Familienfeier dem ganzen dann noch den Deckel aufsetzte. Ich hätte um mich schlagen können.

Wieso glaubte mir Niemand, dass ich keine Kinder will. Wieso war es jedes mal eine “Oh, was wirklich?”- Reaktion anstatt einer “Cool, mach dein Ding!”. Wieso war ICH immer die “Unnormale” und wieso zum verfickten Scheiß ist es Pflicht Mutter zu werden?!

>Kleine Info am Rande: Dieses Thema ist für mich sehr emotional, entschuldigt die Kraftausdrücke.<

Wieso ist es nicht eher die Pflicht und die Norm, Menschen in ihren Wünschen zu respektieren und zu unterstützen. Statt an Jemanden und dessen Entscheidung zu zweifeln sollte man doch lieber Rückhalt geben und dem Menschen seine Entscheidung lassen. Wieso werden wir Frauen direkt in diese Rolle gedrückt, wieso wird uns nicht die Chance gelassen uns selbst zu orientieren?…

Letztes Jahr war es dann soweit, wir sprachen das erste Mal über eine Vasektomie. Denn auch wenn ich das alles hier aus meiner Sicht schreibe, so sieht Jonas es an vielen Punkten ähnlich und möchte ebenfalls keine Kinder. Unsere Hochzeit kam und ging. Wir sprachen immer wieder darüber und ließen uns Zeit mit der Entscheidung. Bis dann vor ein paar Monaten - vermutlich mal wieder nach einem Schwangerschaftstest - Jonas ganz sicher und ohne zu zögern sagte “Ich will das mit der Vasektomie machen!”. Neben den Worten “Willst du mich Heiraten?” wohl das schönste, was er zu mir sagen konnte. Jonas suchte also nach einem Arzt und im März kamen wir zum Vorgespräch vorbei. Im Hinterkopf hörte ich die Worte meiner Mutter wiederschallen “Na ob das geht…das bezweifle ich…”

Mein Herz schlug mir bis zur Kehle, mein Blut rauschte durch meinen Schädel und mir wurde heiß. Der Arzt erklärte uns alle wichtigen Infos, wie das Ganze ablaufen würde, Heilungsprozess etc. Und dann… Dann machten wir einen Termin für April. Der offizielle Vasektomietermin.

Als wir aus der Praxis traten, begannen meine Tränen zu fließen. Endlich würde dieser Druck ein Ende nehmen. ENDLICH würde niemand mehr von mir erwarten Mutter zu werden oder von uns Eltern zu werden. ENDLICH!

Ich fühlte mich so befreit, so leicht und so stolz auf unsere Entwicklung und Stärke.

So stolz auf unsere Gemeinschaft.

Am 1. April erlaubte ich mir dann den Scherz, alle glauben zu lassen, dass ich Schwanger sei. Es war ein kleiner hinterhältiger Test um zu sehen wer meine/unsere Entscheidung eigentlich wirklich ernst nimmt. Ich war ganz schön erschrocken wie viele Leute es doch tatsächlich geglaubt haben. “Sowas kann ja immer mal passieren!” - genau und dafür gibt es den Fall der Abtreibung. Ich bin nämlich absoluter Verfechter des Rechts auf freie Entscheidung ob eine Frau eine Schwangerschaft durchführen möchte oder nicht. OMG! ~ was hat sie da geschrieben!?~ Eine Frau hat das Recht eine Schwangerschaft abzubrechen oder auszuführen. Das liegt ganz allein in ihrem eigenen Ermessen. Vergewaltigungsopfer zu zwingen ein Kind auszutragen ist doch krank. Einer Frau ein Kind aufzuzwängen obwohl sie genau weiß, sie kann sich nicht darum sorgen, ist Idiotie. Niemand MÖCHTE eine Abtreibung, ist jetzt nicht so als wenn man durch die Gegend läuft und beschließt heute ist ein guter Tag um abzutreiben… Hier geht es um Menschenrechte die anscheinend eher Männerrechte genannt werden sollten, da wir Frauen immer den kürzeren ziehen in so ziemlich allem… Weiter im Text →

Der 22. April kam schnell. Wir hatten kaum jemanden davon erzählt, nur den Menschen die uns voll unterstützen. Jonas war so aufgeregt und nervös und trotzdem so mutig. Er zog es voll durch und kam erschöpft nach 45 Minuten wieder aus der Praxis. Mit dem Taxi ging es nach Hause.

Wir haben es geschafft. Wir haben es wirklich hinter uns gebracht. Endlich eine Zukunft ohne Angst und Druck.

Euphorisch beobachtete ich Jonas wie er langsam auf dem Sofa einschlief. Dieser Mann hat es mir ermöglicht ein sorgenfreieres Leben zu führen. Natürlich hat er es nicht nur für mich getan, auch sein Wunsch war es diesen Stress loszuwerden und die lästigen Kondome. Ich bin so unendlich dankbar!

Es weiß noch immer nicht jeder, daher hoffe ich das mit diesem Beitrag nun wirklich Schluss ist mit den “gut gemeinten Ratschlägen” die noch immer ungefragt durch die Gegend fliegen…

Mit meiner lieben Anne sprach ich kurz nach der Vasektomie und sie sagte “Mal sehen wie lange es dauert, dass wieder so ein Spruch kommt. Hoffentlich lange!” … Tja und direkt 2 Tage nach der Vasektomie telefonierte ich mit meiner Mutter und kam nicht drum rum ihr davon zu erzählen… Ihr erster Satz war: “Das kann man ja aber auch rückgängig machen, oder?” gefolgt von weiteren Relativierungen und Muttersein-Sprüchen. Am liebsten hätte ich im strahl gekotzt und das Handy gegen die Wand geschmissen. Ein anderer Satz war “2 Jahre mit Kondom und nix passiert? So ein Mist!”. Ist es purer Egoismus oder falsche Erziehung? Egal was es ist. Ich will das es aufhört. Ich will nicht mehr auf irgendeine “Kinderplanung” angesprochen werden. Ich will nichtmehr diese ganzen Floskeln zum Elternsein hören.
ICH WILL KEINE KINDER.
Der nächste der das in Frage stellt, also mich in Frage stellt, fängt sich eine Kopfnuss.

Ich weiß dieser Text ist nicht sehr sachlich und ziemlich wirr geschrieben. Aber es ist eine perfekte Repräsentation dessen, was in mir vorgeht wenn es um dieses Thema geht. Und auch hier will ich nochmal darauf ein gehen, dass ich damit niemanden zu nahe treten will. Hier geht es ausschließlich um mich und Jonas. Ich habe Freunde mit Kindern, ich habe Nichten und Neffen und allesamt sind super knuffig und eine tolle Bereicherung für diese Familien. Nur für meine Familie sehe ich nunmal keinen weiteren Menschen.

Ist euch das auch schonmal aufgefallen? Erlebt ihr solche Sätze vielleicht sogar am eigenen Leib oder reagiert ähnlich auf Menschen die keine Kinder wollen? Vielleicht sollten wir alle reflektieren, was solche Sätze mit jemandem anstellen können. Auch Paare die vielleicht schon seit Jahren versuchen ein Kind zu bekommen und schon mehrere Fehlgeburten hatten, schmerzen solche Kommentare. Wie wäre es also wenn wir es lassen, uns in die Dinge anderer Menschen einzumischen? Wie wäre es wenn wir unsere Perspektive verändern und Frauen und Männer ebenbürtig behandeln? Wie wäre die Welt wohl, wenn nicht jeder Mensch sich dazu gedrängt fühlen würde in irgendeine Norm zu passen?

Sie wäre schön…

Angi

P.S. Der 22.April ist bei uns nun der Keine-Eltern-Tag und wird von nun an jährlich gefeiert mit Dingen die wir nicht machen könnten wenn wir Kinder hätten. Cheers!

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Harz 2.0 - Gleich, aber doch irgendwie anders...

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