Entwöhnung und Heilung
Wenn ich lange nichts von mir hören lasse, dann hat es meist einen triftigen Grund. Auch wenn ich wahnsinnig gerne jede Woche einen Blog Eintrag schreiben würde, auch wenn ich gerne alle 2 Tage ein Fotoshooting machen würde - ich kann es nicht.
Vor ein paar Wochen habe ich erfahren, dass meine Therapie zu Ende geht. Die Stunden, die die Krankenkasse übernimmt, sind bald aufgebraucht. Es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Mir wurde ganz heiß und ich begann sofort zu schwitzen. In meinem Kopf begannen die Gedanken wie aus einem MG um sich zu schießen, alles hörte sich dumpf an wie als wäre ich unter Wasser.
“Sie schaffen das, schauen Sie mal wie weit Sie gekommen sind! Am Anfang konnten Sie sich nicht mal vorstellen an diesem Punkt zu stehen an dem Sie jetzt sind!”
Ja, aber…
Mir fielen tausend Dinge ein über die ich noch reden will, tausend Dinge die ich meiner Meinung nach noch nicht verarbeitet habe, tausend Dinge die mir Nachts den Schlaf rauben.
Der Tag war hinüber. Wie als ich meine Diagnose bekam, war der Tag einfach nur noch ätzend.
Wie soll ich es schaffen mich selbst zu reflektieren, während mir keiner mehr dabei hilft den Spiegel zu halten? Wie soll ich Fahrrad fahren, wenn ich nicht meine Stützräder habe?
Ich wusste der Tag würde kommen. Er kam schonmal, als ich 14 war und meine 1. Therapie beendete. Und als ich mit 17 meine 2. Therapie beendete. Es ist nichts neues, und doch kam es wie ein Tsunami über mich.
Mein Borderline besteht aus vielen verschiedenen Konzepten und Regeln, eines dieser Konzepte ist die Abhängigkeit und intensive Liebe zu anderen Menschen. Ich kann mich nicht einfach von einem Menschen trennen, außer er verletzt mich so sehr, dass er für mich gestorben ist. Es gibt nichts dazwischen. Der Mensch steckt so tief in meinem Herzen, dass ich ihm am liebsten alles schenken würde was man mit Geld kaufen kann. Ich will ihn am liebsten die ganze Zeit umarmen und ihm sagen wie sehr ich ihn lieb habe. Meine Freunde kennen das… Die andere Seite ist der unaufhaltbare Hass der wie eine unendliche Flamme in meinem Inneren lodert. Die Menschen die das betrifft können nie wieder auf die andere Seite. Sie bleiben auf dem Friedhof meiner gestorbenen Gefühle.
Meine Therapeutin steht auf der Seite der Menschen die in meinem Herzen stecken, auch wenn sie keine Freundin ist - Sie versteht mich und hilft mir, dass ist genug für mich um sie in meinem Herzen zu verschließen.
Nun liegt es an mir mein Schwarz-Weiß-Denken aufzugeben. Ich weiß, das wird niemals ganz verschwinden. Borderline ist ein Teil von mir. Ich kann aber lernen damit umzugehen und es zu biegen, es gefügig machen um damit zu wachsen.
Ich fühle mich noch nicht geheilt. Ich weiß es gibt keine vollkommene Heilung von Borderline, dass bedeutet aber nicht, dass es nicht besser werden kann. Es bedeutet, dass ich extra stark sein muss.
Derzeit versuche ich alles an Kraft zu mobilisieren, die ich irgendwo in mir finden kann. Ich versuche die Dinge die ich in der Therapie gelernt habe anzuwenden und nicht nur mir sondern auch Anderen zu helfen.
Leider habe ich nicht zu allem eine Lösung oder einen Weg der mir hilft, also schlüpfen immer wieder alte Bekannte in meinen Geist. Einer hat es sich wieder gemütlich gemacht und debattiert mit mir ob ich es verdient habe glücklich zu sein. Ob ich es verdient habe gesund zu sein. Zwar kann ich besser argumentieren, aber trotzdem hat er einen mächtigen Griff den ich nicht lösen kann.
Ich kämpfe und gleichzeitig gebe ich auf. Es ist als würde man 10 Einkaufstüten die Treppen hochtragen wollen. Eine reißt, eine Andere ist zu schwer also lasse ich sie stehen und wieder eine Andere schneidet ins Fleisch. Und trotzdem packe ich es 7 Tüten sicher oben abzusetzen. Es ist nicht aussichtslos, es ist noch nichts verloren, es ist noch nicht vorbei. Auch wenn es gerade schwer ist, so geht es doch immer weiter. Ich bin schon lange nicht mehr so pessimistisch wie früher, nein dafür bin ich zu stark - jetzt sehe ich meine Möglichkeiten, ich sehe die Chancen die ich habe und die ich ergreifen muss.
Langsam akzeptiere ich das Ende meiner Therapie, denn es ist auch wie ein Sieg. Ich weiß ich habe noch viel Arbeit vor mir, aber es gibt so viel das mir jetzt Kraft gibt.
Ich habe so viele Ideen! Soviel, dass in den Startlöchern steht und nur darauf wartet los gelassen zu werden. Soviel Hoffnung…
Alle die gerade durch die Hölle gehen, werden am Ende wie ein Phönix auferstehen und sich erheben, stärker als je zuvor.
Ich weiß es ist hart, ich weiß es scheint endlos. Aber das ist es nicht. Wenn du schon soweit gekommen bist ist jetzt der perfekte Moment um erst recht zu kämpfen und durchzuhalten. Du bist nicht allein, du leidest nicht allein auf dieser Welt. Es ist an dir den Schlüssel zu finden der die Tür zu dem nächsten Schritt öffnet. Lausche in dich hinein und male dir aus wo du irgendwann stehen willst, gehe den Weg dorthin in kleinen Schritten in dem du dich selbst siehst und erkennst wie du dir selbst helfen kannst. Es ist nebelig, ich weiß, aber je mehr du dich konzentrierst je mehr offenbart sich der Weg vor deinem inneren Auge.
Halte durch. Kämpfe.
Angi