Psychisch krank - und was ist mit der Familie?

Ich möchte heute über meine Erfahrungen schreiben. Meine Erfahrungen wenn es zum Thema Familie kommt und wie diese mit der psychischen Krankheit umgeht - oder ebenhalt auch nicht.

Ich kann mich nur zu gut an die Reaktion erinnern als ich meinen Nächsten die Diagnose Borderline mitteilte. “Oh Gott!…Was genau bedeutet das denn?!” oder “Das klingt ja furchtbar, ich wusste garnicht, dass es dir so ergeht!”…
Genau das ist das eigentliche Problem. Natürlich darf eine psychische Krankheit nicht herunter gespielt werden, aber Panikmache ist genauso wenig förderlich.
Mein Aufgabe nach meiner Diagnose war also, erstmal damit selbst klar zu kommen und dann meinen Liebsten zu verklickern was das eigentlich genau bedeutete.

Dieser Schritt ist der Wichtigste, wenn auch leider der Schwierigste.

Wie erklärt man jemanden, dass man sich selbstverletzt, wenn der Andere nie mit diesen Gedanken zu tun hatte? Wie erklärt man einem offenen Geist, dass der eigene in zwei Teile aufgesplittet ist die keine Grauzonen erlauben? Wie erklärt man jemanden, dass man ihn so unbeschreiblich liebt, aber im nächsten Moment einfach nur hasst und ihn niewieder sehen will?

Ich habe am Anfang - und auch jetzt noch - viel über Borderline gelesen. Mich schlau gemacht, was für Facetten diese Persönlichkeitsstörung hat. Am Ende meiner Erkenntnisse teilte ich sie mit den Menschen die es wirklich wissen wollten und versuchten mich zu verstehen.

Leider versuchte das jedoch nicht jeder.

Wenn einem der Satz: “Aber so bist du doch einfach!" oder “Das ist halt deine Persönlichkeit, da ändert sich ja nichts!” nach monatelangem Kämpfen an den Kopf geworfen wird, fragt man sich “Für wen mache ich das eigentlich? Wer bin ich? Was will ich?”. Wenn einem jemand sagt: “Das ist doch ganz normal für dein Alter, da hat man immer mal Emotionsschwankungen und man befindet sich ja noch in der Findungsphase” überlegt man einfach aufzugeben. Alles hinschmeißen, denn es ist ja garnicht echt. Wenn man so etwas von eigenen Familienmitgliedern hört fragt man sich wieso man diese Menschen überhaupt noch in seinem Leben hat.

Ich will nicht, dass meine Familie sich neben mich setzt und fragt: “Angelina, erzähl doch mal. Wie ist es momentan mit dem Borderline?”. Noch möchte ich hören: “Du tust mir so leid!”. Das Einzige was jeder psychisch Kranke (oder auch nicht) von seiner Familie erwarten darf ist Akzeptanz. Es akzeptieren, dass dort eine ernsthafte Erkrankung vorliegt die aber aktiv bekämpft wird. Eine Erkrankung die viel Kraft in Anspruch nimmt und ab und zu, zu Absagen von Familientreffen führt oder zu schwankenden Launen. Die Familie muss nicht der Erretter sein, die Familie sollte das Grundgerüst für Vertrauen und Verständniss bilden.

Aber wie gehe ich nun damit um, dass Menschen aus meinem näheren Kreis so über meine Krankheit sprechen, die mir soviel geraubt und kaputt gemacht hat und ganz sicher keine Fantasie ist?

D I S T A N Z

Diese Personen habe ich von mir weg geschoben. Denn ich habe zuerst den Fehler gemacht und wollte ihnen meine Situation erklären. Leider war dies ein leerer Versuch, der zu nichts führte und mich nur noch mehr verletzte.

Es ist schwer. Es tut weh. Aber es ist notwendig. Denn, ich bin die Einzige die mich retten kann. Als Borderliner hat man so tiefsitzende Selbstzweifel und eine so verschrobene Selbstwahrnehmung, dass man glaubt Nichts, aber auch rein Garnichts, könne man selbst bewerkstelligen. Man denkt, man sei angewiesen auf die anderen Menschen, denn sie sind ja ganz offensichtlich stärker und wissen es besser. Diese Erwartungshaltung bringt einen dann wie einen Jenga Turm zum einstürzen, wenn diese “Übermenschen” halt doch nicht so stark oder allwissend sind wie man dachte und sie das Vertrauen, das man ihnen schenkte mit Füßen treten.

Distanz ist das Einzige, dass mir bisher half um diese Situationen auszuhalten - ohne der Selbstverletzung zu verfallen. Meine nächsten Ziele sind es, mit diesen Personen ein letztes klärendes Gespräch zu führen. Ihnen zu sagen, wie es sich für mich anfühlt wenn sie so über mich und meine Krankheit sprechen. Ihnen mittzuteilen, dass ich sie nie wieder so nah an mich heran kommen lassen werde und ich eine platonische Beziehung zu ihnen wünsche, denn leider sind sie ja doch noch Teil der Familie.

Diese Gespräche werden einen großen Batzen Mut einfordern und vermutlich ordentlich an den Emotionen zerren. Aber sie sind mehr als notwendig, denn ich lerne mit jedem Tag mehr und mehr, dass ICH es bin die mich retten muss. Das ICH es bin die dieses Leben führt - undzwar für mich!

Auch wenn sie Teil der Familie sind, ist es nicht in Ordnung von ihnen keine Akzeptanz zu erhalten.
Ich bin immer die Erste, die schreit: “Komm, ich erkläre dir psychische Krankheiten!” aber ich werde nicht die Letzte sein, die sich an dem letzten Halm festklammert um uneinsichtigen Menschen meine Situation begreiflich zu machen. Ich werde nicht die sein, die mit einem schlechten Gefühl nach Hause geht und sich fragt wie sie es das nächste mal besser machen könnte.

Nein.

Ich bin das nicht mehr.

Meine Brüder wissen wenig über meine Situation. Das ist okay, denn auch wenn sie nicht viel darüber wissen erlauben sie es sich nicht, es abzuwerten oder zu verharmlosen. Manchmal sehe ich es in ihren Augen, wie sie sich fragen wie es in mir aussieht, wie es mir wirklich geht und was mich bedrückt. Sie sprechen es nicht aus, aber ich spüre ihre Sorge. Sie müssen es mir nicht sagen, denn ich bin froh wenn ich einfach auch mal über etwas anderes nachdenken kann. Ich bin froh sie einfach nur in den Arm zu nehmen und damit alle nicht ausgesprochenen Worte zu teilen.

So etwas ist für mich in Ordnung. Damit kann ich umgehen, denn mir wird meine Krankheit nicht abgesprochen noch wird sie ins lächerliche gezogen. Sie ist einfach da. Sie existiert.
Alles andere ist meine Angelegenheit.

Den einzigen Wunsch und eine realistische Erwartungshaltung die ich habe ist; dass ich mich darauf verlassen kann, dass meine Familie hinter mir steht. Mir Mut macht wenn ich an mir zweifle und mich einfach fest hält wenn ich kurz vor dem Fall bin. Mehr erwarte ich nicht und mehr ist auch nicht nötig.

Familie ist das Fundament - Ich bin der Erbauer meiner eigenen 4 Wände.
Familie ist der seelische Rückhalt - Ich bin die treibende Kraft die mich nach vorne bringt.
Familie ist eine warme Umarmung - Ich bin der sich Wärmende, in der Not.


Vielen Dank, an Alle die dies gelesen haben. Vielen Dank an die Menschen die an meiner Seite stehen und mir den Rücken stärken wenn ich nicht weiter weiß.

Angi

Zurück
Zurück

Coping Mechanismen

Weiter
Weiter

Frankenstein's Monster - Oder wie sich Dysmorphophobie anfühlt