Große Aussichten, große Gefühle

Wenn die Seele nach Freiheit schreit, kann man nur eine kurze Zeit ignorieren was der Geist wirklich will, bevor man nachgibt,
seine Augen öffnet und frei ist.


Schon seit Monaten brodelte in mir das Verlangen weg zu gehen und Neues zu sehen. Schon vor Jahren war ich alleine mit meinem Fahrrad in der Lüneburger Heide unterwegs. Diesmal sollte es ohne Fahrrad, dafür mit Atlas sein. Wandern. Laufen. Den Kopf frei kriegen.
Ziel: der Harz. Ich wollte Berge sehen, intensive Waldluft atmen und am liebsten keine Menschen treffen.


Letzteres war leider unmöglich aber alles andere habe ich bekommen - und noch mehr.

Sonntag den 23.09.2018 ging es los um 07:12 kam unser ICE nach Göttingen. Die Hinfahrt war unkompliziert und die Fahrt im ICE eigentlich sehr entspannt. Und doch als ich so aus dem Fenster schaute kam es plötzlich über mich.
Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich konnte einen heißen Tropfen meine Wange runterlaufen spüren. Ich realisierte das die ganzen negativen Gefühle in Hamburg zurück geblieben waren und ich nun roh und pur davon fahre. Wie eine frisch gehäutete Schlange, habe ich die Sorgen abgestreift und mich davon befreit. Es machte mir Angst, es war ein anderes Gefühl als sonst.
Wer Psychische Krankheiten hat, weiß wie bekannt es sich anfühlt immer unter seinen Ängsten zu leiden. Wenn es dann auf einmal fehlt, fühlt man sich verlassen und gleichzeitig befreit. Ich musste mich stark konzentrieren nicht in einem See aus Tränen zu ertrinken, war doch dieser Urlaub dafür gedacht mir neue Energie zu geben.
Es war nicht der letzte emotionale Dammbruch den ich in diesen Tagen erleben sollte…

Von Göttingen ging es nach Herzberg und von dort mit dem Bus nach St. Andreasberg. Ein süßes Dörfchen, dass aber einen Supermarkt und einige Restaurants besitzt womit man sich nicht ganz abwesend der Zivilisation fühlte. In der Pension Jagdhütte hatte ich ein kleines süßes Zimmer mit Dusche. Es war kein Luxus, aber absolut ausreichend für 2 Nächte.

Den ersten Tag haben wir die Bergwiesen bei St. Andreasberg umwandert. Wir waren nicht lang unterwegs aber total aufgeweicht vom Regen. Atlas hatte nur einen Pulli, der natürlich immer ordentlich nass war, ihn aber tatsächlich weitesgehend trocken hielt. Sobald wir in der Pension zurück waren, wurde erstmal warm gerubbelt und sich in Decken gekuschelt. Abends konnten wir noch in einem kleinen Italiener essen und fielen danach total fertig ins Bett.


Der ursprüngliche Plan zur Einhornhöhle zu wandern war leider nicht möglich, da das Fotografieren und mitführen von Hunden untersagt war, dafür kostete das Ganze 9€ und war nur mit Führung zu besichtigen. Da habe ich zum ersten mal bemerkt wie touristisch der Harz doch eigentlich ist.

Ich denke in solchen Momenten immer gerne an Norwegen die mit ihrem “Jedermanns Recht” wirklich besser dran sind. Überall hin zu dürfen und auch zu übernachten ohne eine Strafe zu befürchten oder Eintritt zahlen zu müssen. Leider sind wir Deutschen aber einfach ein Pack totaler Hohlbratzen, die die Natur nicht respektieren und alles kaputt machen müssen was wir finden…

Dank der Hilfe meines Verlobten entschied ich mich dann nach Torfhaus mit dem Bus zu fahren, von dort zur Wolfswarte zu wandern und von dort dann zurück nach St. Andreasberg. Als Kind war Jonas sehr oft im Harz, daher konnte er mir diese tolle Alternative vorschlagen und mir auch die Verbindungen dafür raussuchen.

In Torfhaus angekommen, fand ich einen Globetrotter - die müssten doch Regenponchos verkaufen die besser sind als meine Mulltüte - dacht ich mir. Tja, für 70€ kriegste einen aus Regenjackenmaterial und für 1,99€ den selben Schrott den ich schon hatte… Ich blieb dann bei meinem schweizer Käse Tütchen und entschied mich stattdessen für eine Harz Wander Karte und einen Magneten für unsere Kühlschrank Sammlung. Die Karte war wahrscheinlich die beste Anschaffung des gesamten Urlaubs, denn sie hat mich echt gerettet als das Internet meines Handy’s abnippelte.

Der Weg von Torfhaus zur Wolfswarte war atemberaubend. Die Farben, die Luft, die Aussicht. Ich war völlig verzaubert. Der Boden klang hol, denn darunter befanden sich die ganzen Wurzeln der Bäume die die Erde auflockerten. Überall saftiges Moos, welches wie ein Bett die kleinen Hügel überzog. Nebel hing in den Wäldern und ließ alles magisch glimmern. Ich hätte schwören können Elfen lachen gehört zu haben.

Ich inhalierte die Luft als wären es meine letzten Atemzüge. Ich trank aus einem kleinen Bachlauf und konnte die verschiedenen Mineralien auf meiner Zunge schmecken. Meine Seele fühlte sich entfesselt und öffnete ihre Flügel. Ich fühlte mich freier als je zuvor. Ich strotzte vor Glückshormonen und Erfurcht vor der Natur, die mich so malerisch umgab.

Dann erreichte ich die Wolfswarte. Der Aufstieg war steinig, nicht leicht, aber absolut machbar. Der erste kalte Windstoß der mir durchs Gesicht flog, rüttelte mich wach und ich fühlte mich als wäre ich zum allerersten Mal aufgewacht. Die Aussicht und die Formationen waren unbeschreiblich. Wie in einem Film fühlte ich mich. Und dann realisierte ich, sowas kann nur die Natur malen. Nur die Natur schafft es so Bildschön zu sein und uns den Atem zu rauben. Nichts von Menschen geschaffenes könnte damit je mithalten. Mutter Natur ist das Wunder, dass in uns allen schlummert und erwacht wenn wir solche Orte finden.

Mit Atlas dort zu stehen war ein Gefühl, dass ich nicht vermag in Worte zu fassen. Dieser Vierbeiner ist nicht einfach nur mein Hund. Er ist meine Seele, wiedergespiegelt in einem kleinen pelzigen Körper mit großen Augen und einer Stupsnase.

In dem Moment fühlte ich mich unsterblich. Ich hatte das Gefühl die Zeit wäre stehen geblieben und Atlas und ich wären die einzigen Wesen auf der Welt. Es war intensiv. Wie die Piercings die durch mein Fleisch gehen, war dieser Augenblick in mein Herz genagelt.

Wir blieben etwas dort und 3 junge Frauen kamen den selben Weg hinauf wie wir. Sie fragten mich ob ich ein Bild von ihnen machen könnte - natürlich mach ich das! Ich finde es selbstverständlich Anderen dabei zu helfen solche Momente festzuhalten - deswegen bin ich Fotografin. Die Drei boten mir danach noch an mich zu ihnen auf ihre kleine Picknick Decke zu setzen und mich sogar an ihrem Proviant zu bedienen. Alle Drei machten entweder ein Studium oder eine Ausbildung im Medizinischen Bereich und waren auf der Wolfswarte als Tagestrip. Es war mega nett und alle Drei waren mir sehr sympathisch. Trotzdem ging es für uns bald schon wieder runter, immerhin hatten wir noch ca. 12km Weg vor uns.

Der Weg nach St. Andreasberg war so wechselhaft. Wind, Regen, Sonne, Sturm, Hagel einfach alles begleitete uns auf unseren Weg zurück. Ich war bei jedem Regenschauer und Hagelsturm kurz davor aufzugeben und nach einer Busverbindung zu suchen. Aber das ging nicht. Wie Jonas immer wieder zu mir sagt “Keine Abkürzungen!”. Also weiter laufen, egal wie nass und kalt es war, Aufgeben bedeutete zu verlieren. Den Mut zu verlieren, die Kraft, das Selbstbewusstsein und den Kampf gegen all meine Dämonen. Das war ausgeschlossen. Dieser Trip war der Spiegel für meinen Lebensweg den ich gerade gehe. Ich sagte mir “Wenn du jetzt aufgibst, zieht dein Traum an dir vorbei! Hör auf dir selbst im Weg zu stehen und besteige diesen beschissenen Berg, wenn du oben bist genieße die Aussicht und danach geht es weiter!

5 Minuten von unserer Pension entfernt war diese Wiese. Sie bot einem die Aussicht auf St. Andreasberg und, ja, es lohnte sich diesen Weg gelaufen zu sein.

In der Pension angekommen, wärmte sich Atlas auf und ich begann den Weg für den nächsten Tag raus zu suchen. Von St. Andreasberg nach Elend waren es ca. 15km, das will gut geplant sein.

Später am Abend ging ich noch schnell einkaufen, Essen für den Abend und Proviant für den nächsten Tag. Geht niemals hungrig einkaufen…

Der zweite Teil ist nur einen Klick entfernt.
Vielen Dank für’s lesen!
Angi

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